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Einkaufen in der AWO-Kleiderkammer

Von der Würde guter Behandlung

Foto: Peter Marnitz Mit Charme und viel Erfahrung organisiert Karla Koschnitzke (r.) das Flohmarkt-Angebot. Unterstützt wird sie von AWO-Geschäftsführerin Sigrid Seitz.

Westerland. „Was kosten die Schuhe?“ Genau begutachtet der nicht mehr ganz junge Mann die schwarzen Winterstiefel. „Die sind ja noch fast ganz neu, die bekommen Sie für 8 Euro!“ Noch ein kurzer Blick auf das stabile Schuhwerk, dann werden die 8 Euro in kleinen Münzen auf den Tisch gelegt. Unter der Operationsmaske meint man ein Lächeln zu erkennen, die Augen leuchten fröhlich, als der Mann den Kellerraum verlässt und wieder die Treppe nach oben steigt. Es ist Freitag gegen 13.30 Uhr und die Kleiderkammer der Sylter Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat wieder ihre Türen geöffnet. An jedem Freitag verteilen die ehrenamtlichen Damen des Sylter Ortsvereins der Arbeiterwohlfahrt im Geschwister-Scholl-Weg die gebrauchte Kleidung an bedürftige Menschen – diese Kleiderkammer ist inzwischen auf der Insel zur nicht mehr wegzudenkenden Institution geworden.

Doch nicht nur im Keller hängen Mäntel, Kleider und Blusen an Ständern und liegen Pullover und Jacken in Regalen. Auch im Erdgeschoss der Sylter AWO-Zentrale findet man Jeans, Winterjacken, Röcke und Hemden, die auf Käufer warten. „Nein, wir verschenken die Sachen nicht, jedes Kleidungsstück hat seinen Wert, also auch seinen Preis“, erklärt Sigrid Seitz, die als Geschäftsführerin des Ortsvereins seit Jahrzehnten von der Buchführung bis zum Telefondienst, von der Organisation bis zur persönlichen Beratung der Mitglieder „Mädchen für alles“ ist. Ihr ist es wichtig, dass die Kunden den Wert der Hosen, Schuhe und Mäntel achten und nach ihren Möglichkeiten bezahlen. Da kostet eine Jeans 3 Euro und ein guter Mantel schon einmal 10 Euro.

Doch fast wie in einem Kaufhaus gibt es nicht nur Kleidung, sondern auch eine Abteilung für Tischwäsche, Geschirr, Haushaltsgeräte und – jetzt passend zur Weihnachtszeit – auch festliche Deko-Artikel. „Flohmarkt“ nennt sich schon fast etwas herabwürdigend diese Abteilung. Karla ist hier eine der ehrenamtlichen Fachfrauen, die sich um die Kundenwünsche kümmert. Mit ihren 84 Jahren ist sie eine der ältesten in der gut 20-köpfigen ehrenamtlichen AWO-Damentruppe, die die Kleiderkammer und den Flohmarkt organisieren und betreiben. Karla hat nicht nur viel Erfahrung, sie ist auch vom Fach. Viele Jahre war sie Verkäuferin bei H.B. Jensen im Bereich der Damenoberbekleidung. Mit ihrem gut gestylten weißen Haar und mit ihrer Kleidung, die eine dezente Eleganz repräsentiert, verströmt sie eine natürliche Autorität in ihrem Haushaltswaren-Bereich. Wie ihre Kolleginnen Marga und Inge lobt sie die entspannte Stimmung, die in dem ungewöhnlichen „Geschäft“ herrscht: „Die meisten Kunden sind einfach sehr angenehm und höflich. Wenn das nicht so wäre, kämen wir nicht hierher.“

Es sind regelmäßig zwischen 100 und 150 Kunden, die freitags das Angebot der AWO annehmen. Viele junge Mütter, aber auch hochbetagte Senioren finden sich am Geschwister-Scholl-Weg ein. „Wir machen keine Bedürftigkeitskontrollen, das empfänden wir als entwürdigend. Für manchen Menschen ist es schon eine Hürde, hierher in die Kleiderkammer zu kommen. Nur bei unserem Flohmarkt werfen wir schon ein Auge darauf, dass sich hier nicht Händler mit preiswerter Ware eindecken“, erklärt Sigrid Seitz das Geschäftsprinzip. Zwar findet der „Verkauf“ nur freitags statt, doch die Ehrenamtlerinnen haben fast jeden Wochentag etwas in den AWO-Räumen zu tun. So muss zum Beispiel der „Wareneingang“ gemanagt werden. Neben der Kellertreppe die zur Kleiderkammer führt, steht ein Altkleider-Container, in dem intakte und saubere Kleidung und ordentlich verpackte Schuhe landen sollten. Doch das ist nicht immer der Fall, beklagen die Fachfrauen bei der „Warenannahme“: „Manchmal finden wir total verschmutzte Baustellen-Kleidung, manchmal sind es zerrissene Bettlaken oder einfach Sachen, die niemand mehr anziehen möchte! So muss immer einiges aussortiert werden, bevor wir Kleidung und Haushaltswäsche ordentlich in die Regale legen und an die Kleiderständer hängen können.“ Für die Geschäftsführerin ist es ein buchstäblich teures Ärgernis, dass immer wieder Müll-Kleidung im Container landet: „Das müssen wir dann bei Remondis entsorgen. Im letzten Jahr mussten wir dafür über 2.000 Euro bezahlen. Das schlägt echt zu Buche. Vielleicht findet sich ja ein Spender – oder der Entsorger kommt uns etwas entgegen.“ Aber letztendlich ist es nicht nur die Arbeit, sondern auch der Spaß, der die ehrenamtliche Damen-Truppe, zu der sich hin und wieder auch ein hilfsbereiter Mann gesellt, zusammenhält. Marga und Inge zum Beispiel verbringen rund 20 Stunden pro Woche bei der AWO: „Da wird viel gearbeitet, wir trinken aber auch regelmäßig gemeinsam Kaffee und dabei wird viel gelacht.“ Der Spaß ist den Damen anzumerken, auch beim Verkaufsgespräch geht mancher lustige Spruch über die Theke. Und wenn es dann im Geschirrbereich bei der Frage nach einer Verpackung heißt: „Soll ich die Teller einschlagen?“ dann wird das Lachen schon etwas lauter. Selbstverständlich sucht jedes noch so eingespielte Ehrenamts-Team auch Nachwuchs. Interessenten können sich an Sigrid Seitz, Telefon 04651 22325, wenden oder freitags ab 13 Uhr einfach vorbeikommen.


Geschrieben von: Peter Marnitz / veröffentlicht am: 21.12.2021
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