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Hilflose 93-Jährige in der Obdachlosenunterkunft – Gemeinde äußert sich

Einen zweiten Fall A. verhindern

Foto: Nicole Lütke Wer trägt die Verantwortung für den Fall A.? In der Obdachlosenunterkunft lebte die hilflose Frau, bis sie nur noch 35 Kilo wog.

Gemeinde Sylt. Sie war ihrem Schicksal überlassen und wäre fast verhungert: Die Geschichte von Frau A, einer 93-jährigen Seniorin, die hilflos und allein in der Obdachlosenunterkunft in Westerland lebte, bis sie schließlich auf 35 Kilo abgemagert war, bewegt die Menschen vor Ort noch immer. Die Sylter Zeitung machte den Fall am 31. Januar öffentlich und berichtete von den Versäumnissen der Gemeinde Sylt, Frau A. angemessen zu betreuen. Seitdem wird viel darüber geredet, wie so etwas passieren konnte.

Rückblick: Die 93-jährige Frau A. lebte seit 2005 freiwillig in der Obdachlosenunterkunft. Sie zahlte Miete, Wasser und Strom für ihr kleines Zimmer im Erdgeschoss in der Unterkunft am Sjipwai 51, für die die Gemeinde Sylt die Verantwortung trägt.

Im November vergangenen Jahres erleidet sie einen Beckenbruch, kann sich in der Folge nicht mehr selbst versorgen. Dörte Lindner-Schmidt, Leiterin der Sylter Tafel, besucht die Seniorin vier Tage lang täglich in der Obdachlosenunterkunft, um ihr Wasser und Essen ans Bett zu bringen. Hilfe von den Mitarbeitern und Verantwortlichen der Einrichtung kommt zumindest in dieser Zeit nicht. Dieser Sachverhalt wird von der Gemeinde Sylt indes völlig anders dargestellt: Fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten sich um die Bewohnerin gekümmert, teilt die Gemeinde auf Anfrage unserer Zeitung mit. Das Amtsgericht, der sozial-psychiatrische Dienst und ein Pflegedienst seien von der „Obdachlosenhilfe (…) regelmäßig eingeschaltet“ worden, erklärt die Gemeinde. Die Seniorin habe diese aber wiederholt abgelehnt, heißt es von der Gemeinde weiter.
Als es Frau A. gesundheitlich immer schlechter geht, ziehen Pastor Simon Ulrich, ein hinzugezogener Arzt und Dörte Linder-Schmidt schließlich die Reißleine. Sie rufen den Rettungswagen und lassen die auf 35 Kilo abgemagerte Frau in eine Pflegeeinrichtung bringen. „Wenn Frau A. regelmäßig von Mitarbeitenden der Obdachlosenhilfe betreut wurde, warum war sie auf 35 Kilo abgemagert? Warum mussten erst drei Menschen eingreifen und ihr helfen?“, fragen sich Brigitte Umbreit, Vorstandsmitglied der Tafel, und Dörte Linder-Schmidt.
Hätte den Betreuern die schlechte gesundheitliche Verfassung der Frau nicht auffallen müssen? Wäre es nicht die Aufgabe der Verantwortlichen der Obdachlosenunterkunft gewesen, sich vor Ort ein Bild zu machen und sich um Frau A. zu kümmern?

Das hätten sie ja getan, entgegnet die Gemeinde. Der sozialpsychiatrische Dienst wurde nach Angaben der Gemeinde informiert. Da die Seniorin keine Pflegestufe gehabt habe, habe der Pflegestützpunkt nicht helfen können. Daraufhin, so heißt es in dem Statement der Gemeinde weiter, habe die Gemeinde empfohlen, im Krankenhaus und bei den sozialen Diensten anzurufen, doch die Ansprechpartnerin sei nicht da gewesen. „So darf es nicht weitergehen“, meint Ulrike Körbs, Gemeindevertreterin der Insulaner und Vorsitzende des Sozialausschusses der Gemeinde Sylt, zum Thema Obdachlosenunterkunft. Zwar gebe es seit 2012 ein Konzept zum Umgang mit Obdachlosen, doch das sei in der Praxis nicht umgesetzt worden. „Zurzeit finden Gespräche statt, die bestehende Konzeption zu überprüfen“, heißt es in dem Schreiben der Gemeinde zu diesem Thema. „Die Obdachlosenunterkunft muss in Zukunft ein offenes Haus werden“, fordert Ulrike Körbs. Vor allem die Betreuung, die Öffnungszeiten und eine Zusammenarbeit mit Polizei und BBZ soll überprüft werden.
Ohne den Einsatz der Ehrenamtlichen der Tafel, die Frau A. seit Jahren mit Lebensmitteln und anderen Hilfen unterstützt haben, wäre die Frau wahrscheinlich schon viel früher in eine lebensbedrohliche Situation gekommen.

Was bleibt, ist ein widersprüchliches Bild. Wer die Verantwortung dafür trägt, dass eine 93-Jährige – selbst, wenn sie sich für ein Leben in der Obdachlosenunterkunft entschieden hat – fast verhungert wäre, bleibt ungeklärt. Klar ist nur: Einen zweiten Fall A. darf es nicht geben.


Geschrieben von: Nicole Lütke / veröffentlicht am: 19.02.2024
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