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Leserbrief

Autos brauchen keinen Urlaub

Foto: hwi Zu viele Autos auf der Insel? Im vergangenen Jahr hat die Polizei an sieben Tagen den Verkehr rund um die Autoverladung geregelt, in diesem Jahr sind es bis Mitte Dezember bereits 25 Tage gewesen – mehr als dreimal so viele Einsätze also.

Zur generellen Verkehrssituation auf Sylt und zu anderen Themen äußerte sich unser Leser Thomas Röthig in diesem Leserbrief:

„Mein Weihnachtswunsch ist, dass die Politik nachhaltige Rahmenbedingungen für den Tourismus und den Verkehr schafft. Ursprünglich hatte ich geplant, meinen Lebensabend in einem kleinen Örtchen namens Ihlowerhörn vor den Toren von Aurich in Ostfriesland zu verbringen, wo unsere Familie über zwei Jahrzehnte eine kleine reetgedeckte Bauernkate besaß. Auf meinem Kofferraumdeckel prangte das Schild ,Wi proten Platt‘. Der Zufall wollte es, dass es mich im September 2013 auf die Insel Sylt verschlug, die ich vorher immer wegen ihres Rufs als Insel der Reichen und Schönen verschmähte. Sofort nach der Ankunft habe ich mich in die Königin der Nordsee, in Sylt, verliebt und nach fünf Jahren als Dauergast bin ich seit dem vergangenen Jahr zusammen mit meiner Partnerin Sylter Neubürger.

Ich befinde mich nun im verflixten siebten Jahr. Und das Jahr 2020 hat einige neue Erkenntnisse gebracht.
Die größte Erkenntnis ist, dass Sylt immer stärker frequentiert wird, aber da sie nicht aus dehnbarem Gummi besteht, wird es zwischen List und Hörnum notwendigerweise immer enger.
Seit meiner Ankunft im Jahr 2013 ist der Verkehr spürbar dichter geworden – und Touristen und Insulaner behindern sich auf Straßen und Parkplätzen gegenseitig. Wer von Hörnum nach Westerland oder von List nach Westerland fahren möchte, steht nicht nur in der Hauptsaison im Stau. Die frühere Bürgermeisterin der Gemeinde Sylt, Petra Reiber, wollte bei ihrem Amtsantritt Anfang der 90er Jahre ein autofreies Sylt schaffen, wurde aber schnell und vehement zurückgepfiffen. Die Zahl der Autos hat sich zwischenzeitlich vervielfacht. Und RSH-Moderator Carsten Köthe hat nicht nur in der Hauptsaison jede Menge zu tun, die Verkehrsstaus aufzuzählen. Da ist die Messe in der Kirche schneller gelesen. Was sollen die zahlreichen Autos hier? Autos brauchen keinen Urlaub!
In diesem Winter und im anschließenden Corona-Lockdown hat man erst einmal gemerkt, wie übersichtlich die Verkehrslage auf Sylt sein kann – und wie bescheiden die Pkws der Insulaner in aller Regel ausfallen…

Aber kaum durften Mitte Mai die Zweitwohnungsbesitzer wieder anreisen, waren sie plötzlich wieder da, diese Protz-SUVs. Ein SUV, das sind 2,5 Tonnen Blech und Stahl, ausgerüstet mit acht oder zwölf Zylindern, um einen 80 Kilogramm schweren Menschen zu transportieren.

Sylt hat einen so hervorragenden ÖPNV und leistungsfähige Taxi-Unternehmen, dass die Autos erst gar nicht auf die Insel müssten (Klanxbüll böte sich da an). Oder aber: Auf Norderney kann zentral geparkt werden. Und Autos dürfen nur zur Fahrt zum und vom Hotel oder der Ferienwohnung genutzt werden. Die Vielzahl der Pkw – und vor allen Dingen der überschweren SUVs – strapazieren das Straßennetz, das dann in immer kürzeren Abständen instandgesetzt werden muss. So werden wieder Baustellen und Staus verursacht. Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz.
Schon vor Corona und gerade danach scheint auch die Zahl der Übernachtungen auf Sylt erheblich zugenommen zu haben. Den Tourismus auf Sylt kann man mittlerweile mit einem Schiff vergleichen, dass fortwährend Volldampf fährt. Der Maschinentelegraf steht permanent auf ,Volle Kraft voraus‘. Nur: Dieser Modus verschleißt Besatzung und Material. Dieser Metapher möchte ich auf Sylt übertragen. Die Herren und Damen Kapitäne auf den Urlaubsdampfern feuern die Heizer an, immer mehr Kohle in die Kessel zu schaufeln. Bis diese Kessel platzen!

Ich bin fest davon überzeugt, dass nach dem Abebben der Corona-Krise zum Frühjahr 2021 hin der Tourismus auf Sylt wieder zur Höchstformen auflaufen wird, zumal das Ausland jetzt und auch in absehbarer Zukunft vermehrt gemieden werden wird.

Sylt muss nicht gleich autofrei sein (die Insulaner seien ausgenommen), aber Sylt sollte schon stark autoreduziert werden. Der Sylt-Shuttle, Tochter der Deutschen Bahn, könnte seine Lokomotiven an die krisenbehaftete DB Regio Schleswig-Holstein ausleihen. Für den Blauen Autozug bliebe noch genug zu tun, denn die Insulaner wollen ja auch mal aufs Festland und wieder zurück!
Ein weiterer Weihnachtswunsch ist, dass die Politik ein gutes Benehmen der Urlauber einfordert – und dass man sich hier, bitteschön, genauso gut benimmt wie in seinem sozialen Umfeld zu Hause. So kann es nicht angehen, dass freilaufende Hunde in Brut- und Setzgebieten herumstöbern und die heimischen Seevögel verjagen. Auch ist immer wieder zu beobachten, dass Radfahrer auf eigens dafür ausgewiesenen Wanderwegen radeln, obwohl dort das Radfahren ausdrücklich verboten ist. Trotz perfekter Ausschilderung wird die Fußgängerzone von Westerland im Bereich Strand- und Friedrichstraße zu oft mit dem Zeitfahren bei der Tour de France verwechselt. Es existiert kaum ein Gefahrenbewusstsein.

Da müssen also Insel-Sheriffs oder Insel-Ranger her, die auch außerhalb von Westerland Verstöße ahnden. Und dann wäre da ja auch noch die nicht unendlich weit reichende Trinkwasserversorgung der Insel Sylt…
Dieser Laissez-faire Führungsstil der hiesigen Politik ist zum Teil nicht nachzuvollziehen. Schließlich werden die hiesigen Kommunalpolitiker ja von den Insulanern gewählt.
Seit diesem Herbst stemmt sich bereits die Bürgerinitiative ,Merret reicht‘s‘ gegen den von so vielen so empfundenen Overkill.“

Thomas Röthig
25980 Sylt/Munkmarsch


/ veröffentlicht am: 23.12.2020
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