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Katharyna berichtet über ihre Flucht aus der Ukraine

Von einer friedlichen Welt träumen

Foto: Nicole Lütke Rückhalt und Unterstützung gibt es für viele Geflüchtete in der „Ankerstube“ in der Westerländer Strandstraße. Die Begegnungsstätte für Geflüchtete und Insulaner gibt es seit dem 1. Juli in den Räumlichkeiten der ehemaligen Nordsee-Apotheke.

Westerland. Cherson, Kiew, Mariupol: Diese drei Namen stehen sinnbildlich für zahlreiche kleine und größere Dörfer und Städte, die seit dem 24. Februar von russischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Menschen dort leiden unter Kälte, Hunger und der Zerstörung der Infrastruktur. Fließendes Wasser und Strom gibt es oft nicht mehr. Die humanitäre Lage ist unerträglich, und trotzdem harren immer noch Menschen in ihren Häusern aus. Die Bilder der völlig zerstörten Städte und Dörfer – sie erreichen uns jeden Tag durch diverse Nachrichtensendungen. Eine Tragödie, schwer in Worte zu fassen. Um diesem Horror zu entkommen, haben sich bereits zahlreiche Menschen auf den Weg gemacht. Nach Angaben des Mediendienstes „Integration“ wurden zwischen Ende Februar und dem 8. November über eine Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland registriert. Unter den Erwachsenen sind rund 71 Prozent Frauen und 28 Prozent Männer. Rund 35 Prozent der registrierten Geflüchteten sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die meisten davon im Grundschulalter (rund 136.000). Das sind die reinen Zahlen, die Fakten. Doch hinter jeder dieser Zahlen verbirgt sich ein persönliches Schicksal. Eine Geschichte über Mut, Traurigkeit – und Hoffnung auf ein friedlicheres Leben.

Ich treffe Katharyna in der „Ankerstube“ in Westerland, einem Treffpunkt für alle Sylter und Neuankömmlinge. Sie kommt regelmäßig mit ihren Kindern hierher, trifft sich mit anderen Familien. Wir setzen uns an den Tisch, es gibt Kaffee und Kekse. Die kleine Tochter kommt an den Tisch, sie lacht. Was die Familie durchgemacht hat, bis sie endlich auf Sylt angekommen ist, kann ich mir nur schwer vorstellen. Katharyna ist aus Cherson geflüchtet, im April war das. Die Stadt liegt nur 30 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt und ist damit strategisch wichtig für Russland. Bereits in den ersten Kriegstagen waren Stadt und Umland Schauplätze schwerer Gefechte. Mit ihren vier Kindern, zwei davon sind Zwillinge, und einer Freundin geht es Richtung Westen. Ihre 71-jährige Mutter und ihren Onkel lässt die Ukrainerin zurück. Die Kinder sind zwischen drei und 14 Jahre alt, zwei davon sind krank. Trotzdem macht sich die Deutschlehrerin auf den gefährlichen Fluchtweg. Frühmorgens um 5 Uhr geht es los. Es ist dunkel und kalt, der Weg ist lang. Über Odessa und Lwiw nach Bulgarien – mal mit dem Auto, mal im Bus, mal im Zug – und nur bepackt mit dem, was sie tragen können. Ein Koffer für fünf Personen. „Es war schwierig, die Kinder waren müde und weinten“, erinnert sich Katharyna. Dazu kommt die Ungewissheit.

Aber die Angst vor dem, was ihnen in Cherson zustoßen könnte, ist so groß, dass sie alles in Kauf nimmt. „Die Heimat, die Familie, ja, sein Leben zurück zu lassen, das ist schwer“, erzählt sie. Während unseres Gespräches lacht Katharyna viel, sie ist immer positiv. „Wenn ich traurig bin, verliere ich meine Stärke“, sagt sie.

Und diese muss sie in jedem Fall behalten, allein wegen der Kinder. Sie erlaubt sich, zu träumen – von einer friedlichen Welt. „Das Leben ist dazu da, etwas Gutes zu tun“, ist sie überzeugt. Friede entstehe in der Seele eines Menschen. Jeder muss bei sich selbst anfangen, Frieden zu stiften: in der Familie, im Freundeskreis, der eigenen Stadt. „Wir müssen jeden Tag lachen und dem Anderen etwas geben. Nur das bringt Freude und Frieden.“ Rückhalt und Unterstützung geben ihr vor allem die Menschen in der „Ankerstube“. Die Begegnungsstätte für Geflüchtete und Insulaner gibt es seit dem 1. Juli in den Räumlichkeiten der ehemaligen Nordsee-Apotheke. Anfang des Jahres zieht die Einrichtung in das frühere Bowling-Center am Industrieweg. „Wir bringen Menschen zusammen – egal, woher sie kommen“, sagt Ehrenamtskoordinatorin Ulrike Körbs. „Für mich ist das hier eine kleine Insel“, sagt Katharyna. Die 15 Ehrenamtlichen helfen bei Anträgen und Alltagsproblemen und haben immer ein offenes Ohr. Menschen können hier zur Ruhe kommen, einen Kaffee oder Tee trinken. Die kleinen Besucher haben ihre Spielecke und die Erwachsenen geben sich gegenseitig Sprachunterricht. Dazu gibt es Kleidung für Kinder. Und auch Sylter sind willkommen. „Die Tür steht immer offen“, sagt Ulrike Körbs.


Geschrieben von: Nicole Lütke / veröffentlicht am: 27.12.2022
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