Marie Rose arbeitet in den Sylter Werkstätten
„Ich bin so, wie ich bin“
Foto: Nicole Lütke Marie Rose arbeitet seit fünf Jahren in der Kerzenmanufaktur der Sylter Werkstätten.Westerland. Vorsichtig holt Marie den großen Messbecher mit dem heißen Wachs. Die Flüssigkeit gießt sie in eine Form – genauer – eine Stumpenkerze. Diese ist mit bunten Wachswürfeln gefüllt, die zu schmelzen beginnen. Etwas später rührt die 22-Jährige die Mischung mit einem Holzstäbchen kräftig durch. Marie strahlt stolz in die Kamera. Seit fünf Jahren arbeitet die junge Frau in der Kerzenmanufaktur der Sylter Werkstätten. Aus verschiedenen Zutaten und Düften stellt sie Kerzen in unterschiedlichen Formen, Farben und Größen her. Zwei Tage ist sie mit der Produktion beschäftigt, bei mehrfarbigen Kerzen dauert es länger. „Wenn ich sehe, wie viele Kerzen ich am Tag geschafft habe, bin ich sehr stolz“, sagt sie selbstbewusst.
Dieses Selbstbewusstsein musste sich Marie hart erarbeiten. Es wurde ihr nicht in die Wiege gelegt. Sie hat ein Handicap, deswegen arbeitet sie in den Werkstätten. Sie hat dort ihren Platz gefunden, ihre Aufgabe. Marie ist die Fachfrau für die Herstellung von Kerzen. Ihr Wissen gibt sie mittlerweile an Neulinge wie Bundesfreiwilligendienstler weiter – und das sogar in englischer Sprache. „Ich hatte ein bisschen Angst davor, aber mit Händen und Füßen hat die Verständigung funktioniert.“ Den Stolz darüber merkt man ihr an.
In der „normalen“ Arbeitswelt außerhalb der Werkstätten hat die 22-Jährige auch Erfahrungen gesammelt. Im Einzelhandel hat sie Regale eingeräumt und Waren nach Datum umsortiert. „Die Arbeit hat mir Spaß gemacht, aber es ging dort alles etwas schneller.“ In der Kerzenmanufaktur geht es ruhiger zu, aber auch dort müssen die Mitarbeiter sorgfältig und sauber arbeiten. Für Marie kein Problem. Sie arbeitet gewissenhaft, ihre Arbeit ist ihr wichtig. Doch die junge Frau setzt sich auch für andere ein: Sie ist Mitglied des Werkstattrates und Frauenbeauftragte. Als Ansprechpartnerin für ihre Kolleginnen und Kollegen ist sie eine Vertrauensperson. Marie hört anderen Menschen gerne zu und versucht, sich erstmal die verschiedenen Meinungen anzuhören. Hat ein Kollege zum Beispiel ein Problem mit einem Gruppenleiter, wird gemeinsam versucht, das Problem zu lösen. Zu ihrer Aufgabe im Werkstattrat gehört auch, vor Gruppen zu sprechen. „Das fiel mir am Anfang schwer, denn ich war aufgeregt. Ich musste das erst üben.“
Trotz ihres Handicaps steht Marie mitten im Leben. Sie lebt in einer eigenen Wohnung und organisiert sich größtenteils allein. „Ich bin stolz, dass ich es so weit geschafft habe.“ Und sie fügt selbstbewusst hinzu: „Ich bin so, wie ich bin. Wer mich so nicht akzeptiert, mit dem möchte ich gar nicht befreundet sein.“
Geschrieben von: Nicole Lütke / veröffentlicht am: 04.04.2023