Die Fenster von St. Nicolai und Kaiserin Auguste Viktoria
Ein interessanter Fensterfund
Foto: Privat & Kirchengemeinde WesterlandVon Silke von Bremen
Westerland. In ihrer Osterausgabe veröffentlichte die Sylter Zeitung am 31. März einen Bericht über die praktisch vergessene letzte deutsche Kaiserin Auguste Viktoria anlässlich ihres 100. Todestages. Und als Autorin frage ich mich in solchen Fällen: „Wen mag wohl interessieren, was vor so langer Zeit passierte?“ In diesem Falle gibt es ausnahmslos gute Nachrichten.
Ein paar Tage später fand ich nämlich eine Nachricht von Malermeister Sven Pörksen auf meinem Anrufbeantworter – er „hätte da was“. Im Artikel hatte ich die Frage gestellt, ob vielleicht jemand etwas zum Verbleib des Fensters sagen könnte, das Auguste Viktoria der Westerländer Kirchengemeinde zur Einweihung der neuen Kirche geschenkt hatte. In der Berichterstattung stand 1908 zu lesen, dass „Ihre Majestät die Kaiserin das Mittelfenster der Apsis geschenkt hat. Die beiden andern Fenster sind Stiftungen der Gemeinden Morsum und Keitum. Alles Aufzuzählen würde zu weit führen.“
Die älteren Westerländerinnen und Westerländer werden sich noch daran erinnern, dass unter Pastor Dannenberg die Kirche in den 60er Jahren eine grundlegende Modernisierung erfuhr und die alten bleiverglasten Fenster im Jahr 1965 durch Arbeiten des Künstlers Siegfried Assmann ersetzt wurden. Fast alle historisch bedeutsamen Schnitz- und Glasarbeiten der Kirche waren damals nicht nur entfernt, sondern auch entsorgt worden. Ich frage mich aber, ob es in den Sylter Haushalten nicht doch noch einiges gibt, das einst für St. Nicolai gefertigt wurde?
So wie das Fundstück, das ich mir ein paar Tage später bei Herrn Pörksen ansehen durfte. Ein etwas lädiertes Glasfenster, das aus zwei Teilen besteht. Das Hauptmotiv der oberen Hälfte ist ein blaues Kreuz, das vor einer gelben Sonne steht und auf dem Wort „Heimat“ ruht.
Die untere Hälfte zeigt ein Wellenmotiv, das von dem Wort „Heimatlose“ begrenzt wird. Und es verrät „gestiftet von Frauen Westerlands“. (J. Nickelsen war damals der ausführende Künstler).
Es ist also (leider) nicht das Fenster, das die Kaiserin 1908 gestiftet hat. Sie war übrigens zehn Jahre zuvor, nämlich am 15. Juli 1898, vom Kirchenvorstand angeschrieben worden, ob sie nicht das Protektorat über den Kirchneubau übernehmen wolle. Um die Jahrhundertwende hatte Auguste Viktoria ein großes Kirchbauprogramm veranlasst. Allein in Berlin sind dadurch Dutzende von neuen Kirchen finanziert worden, architektonisch übrigens ganz ähnlich wie St. Nicolai. Die nötige Baugenehmigung, die für die Stadtkirche lange fehlte, gab es erst im Zuge dieses Kirchbauprogramms, vermutlich sind durch das Programm auch Gelder aus Berlin in den Neubau geflossen. Jedenfalls wurden für St. Nicolai ab 1906 fertige Baupläne aus dem Berliner Ministerium verwendet, an denen Architekt Bomhoff nur wenig verändern konnte.
Das Kaiserinnenfenster ist noch nicht wieder aufgetaucht, dafür gibt es ein weiteres Rätsel: Wo war dieses wieder gefundene Fenster einst eingebaut? Wie mögen die Motive der anderen Fenster ausgesehen haben? Das Sylter Archiv verwahrt viele Schätze und Erinnerungsstücke, aber weder unser Archiv noch das Kirchenarchiv haben Aufnahmen und Dokumentationen darüber, wie sämtliche Fenster von St. Nicolai ursprünglich ausgestaltet waren. Aber vielleicht haben wir Glück und nach diesem Bericht gibt es noch weitere Hinweise – und jemand kann sich erinnern oder hat Fotos.
Das Fenster von Sven Pörksen hat vermutlich zu den kleineren Fenstern im Kirchenschiff gehört (s. Foto unten). Zu denen der Berichterstatter damals nur lapidar meinte „Alles Aufzuzählen würde zu weit führen.“
Pastorinnen und Pastor sowie der Kirchengemeinderat zeigten sich übrigens hocherfreut über die Existenz des wieder aufgetauchten Glasfensters, und Herr Pörksen kann sich gut vorstellen, das alte Erinnerungsstück aus der Kaiserzeit wiederherzustellen, so dass es dorthin zurückkehren kann, wofür es gefertigt wurde.
Fotos:
/ veröffentlicht am: 12.05.2021